10 U 61/21

Es handelt sich um einen Bericht über einen ehemaligen Ersten Vorsitzenden einer Berliner Kirchengemeinde, der zugleich als angestellter Referent einer überparteilichen Einrichtung und Beschäftigter im Öffentlichen Dienst für eine Unterbehörde einer Bundesbehörde tätig ist. Dieser Mann hat einen Dritten durch widerrechtliches Eindringen in dessen gemietetes Einfamilienhaus, das als privater Lebens- und Rückzugsort dient, bedrängt und belästigt. Mithilfe einer schriftlichen Lüge soll dieser zutreffende Vorwurf endgültig aus der Welt geschafft und zensiert werden. Doch die Hartnäckigkeit der Betroffenen, für die im Kampf ums Recht kaum ein Weg zu weit ist, stellt sich diesem Vorhaben entgegen. Trotz einer überobligatorischen Erfüllung des Beweisanspruchs und einer geradezu lehrbuchhaften Indizienkette wird die Nachweisführung über das strafrechtlich relevante und prozessual unzulässige Verhalten des Beschäftigten im Öffentlichen Dienst bislang sowohl in erster als auch in zweiter Instanz – vor dem Landgericht und dem Kammergericht Berlin – außergewöhnlich erschwert und nicht anerkannt. Dabei wird außer Acht gelassen (bewusst ignoriert), dass, wenn kein Strengbeweis möglich ist, ein abgesenktes Beweismaß gilt. Es ist nicht lebensnah zu erwarten, dass im Moment des Eindringens Kameras in der Wohnung installiert waren oder Zeugen zugegen gewesen wären.

Ausgang des Verfahrens:

In der öffentlichen Sitzung vom 13. April 2023 wich der Senat von seinem bisherigen, willkürlichen Kurs ab und machte gleich zu Beginn der Verhandlung deutlich, dass der Verfügungskläger, der die Vollziehung der einstweiligen Verfügung versäumt hatte, gut beraten wäre, den Antrag auf Erlass dieser einstweiligen Verfügung freiwillig zurückzunehmen. Dies geschah dann auch. Der Bericht ist hier hinterlegt, jedoch wird empfohlen, den Fall auf dieser Seite vollständig zu lesen, da er noch nicht abgeschlossen ist und nun vor der spannenden Frage steht, ob das Kammergericht die zusammengetragene Beweislage für eine identifizierende Berichterstattung als ausreichend erachtet. Das Landgericht Berlin hat dies bisher, unter Berufung auf das völlig inakzeptable und unprofessionelle Verhalten des Presserichters Holger Thiel, von Anfang an zu verhindern versucht.

Rückblick auf die Ausgangslage, die Prozessentwicklung und den beabsichtigten Rechtsbruch des Senats:

Der Täter und Aggressor, der Beschäftigte F. im Öffentlichen Dienst, sah sich erstmals in der zweiten Jahreshälfte 2020 mit dem begründeten Vorwurf des widerrechtlichen Eindringens in ein ihm nicht gehörendes Einfamilienhaus konfrontiert. Es handelt sich dabei um widerrechtliches Verhalten zu Schikanezwecken und möglicherweise um einen strafbaren Hausfriedensbruch gemäß § 123 StGB, da er mit niederer Absicht begangen wurde. Die ursprüngliche Tat, die sich am Freitag, den 14. Juni 2019, ereignete, konnte aufgrund des Zeitablaufs strafrechtlich nicht mehr verfolgt werden. Zudem war der Täter anfangs nicht bekannt, da er beim Betreten des Gebäudes seinen Namen nicht preisgab.  Eine strafrechtliche Verfolgung, deren Ausgang ohnehin ungewiss war, wurde zusätzlich dadurch erschwert, dass die geschädigte Person N., die Besitzerin des Gebäudes, in einem unbefristeten Abhängigkeits- bzw. Vertragsverhältnis zu der Institution steht, der der Beschäftigte F. bis Ende 2019 außerdienstlich als 1. Vorsitzender des Gemeindekirchenrats angehörte. Da das übergriffige Verhalten der Institution und ihrer Vertreter auf einer abgestimmten Systematik beruhte, wurde der Wille zur ordnungsgemäßen (strafrechtlichen) Aufklärung von der geschädigten Person letztlich einer höheren Priorität untergeordnet – auch aus Selbstschutzgründen. Etwa ein Jahr nach der Tat wurde F., die einzige Person, die als Täter und Hausfriedensbrecher infrage kommt, schließlich direkt und unerwartet mit den Konsequenzen seines Handelns konfrontiert – ein Prozess, der unbequem und strapazenreich ist.

Gegen den öffentlich und im sozialen Umfeld des Täters erhobenen Vorwurf des widerrechtlichen Eindringens in befriedeten Besitz ging der Beschäftigte F. zunächst mit einer Abmahnung und kurz darauf mit einem Antrag auf Erlass einer Einstweiligen Verfügung vor. Im positiven Wissen um seine am 14. Juni 2019 begangene Tat und in Kenntnis der Strafbarkeit gemäß § 156 StGB gab F. gegenüber dem Landgericht Berlin und der 27. Zivilkammer (Pressekammer) eine falsche eidesstattliche Versicherung ab, um seine Glaubhaftmachung zu untermauern. In Zusammenarbeit mit seinem prozessbevollmächtigten Rechtsanwalt E., der später noch eine Rolle beim Verbreiten einer schriftlichen Lüge spielt, versicherte F., dass er als Täter nicht infrage komme, da er das betreffende Gebäude nie betreten habe. Stattdessen behauptete er, ein namentlich nicht genannter Kurier oder Paketbote sei die Person im Haus gewesen, nicht er selbst.

Die Geschädigte N. und ein weiterer Zeuge, K., legten realistische und lebensnahe eidesstattliche Versicherungen vor, die das Erstgericht im Verfahren auf Erlass einer Einstweiligen Verfügung ohne erkennbaren Grund als nicht ausreichend einstufte, obwohl der Prozessbevollmächtigte der Geschädigten, ein renommierter und medienbekannter Rechtsanwalt, die beiden Versicherungen treffend als "Austern aus Paris" bezeichnete. Die Richter der Zivilkammer 27, die im Termin zur mündlichen Verhandlung offensichtlich dem Antragsteller F. zugeneigt waren, nahmen einen – wie sich später herausstellte – verdeckten Austausch des Lebenssachverhalts vor, um die Einstweilige Verfügung als bestätigendes Endurteil erlassen zu können.

Das Gericht versuchte diesen Austausch zweifelhaft unter anderem mit einer angeblich stärkeren Eingriffsintensität zu begründen. Aus welchem Grund ein persönlich zugestellter Brief eingriffsintensiver sein soll als eine Veröffentlichung im Internet, blieb jedoch unklar. Tatsächlich unterlief dem Landgericht ein Fehler, denn die ursprüngliche Tenorierung der Verfügung war aus mehreren Gründen nicht haltbar. Ein neuer Lebenssachverhalt wurde plötzlich erforderlich, was jedoch stets eine erneute Vollziehung der Verfügung gemäß § 929 ZPO erfordert – eine Vollziehung, die hier unterblieb.

Der Antragsteller F. und sein Prozessbevollmächtigter E. versäumten es, die Verfügung innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Monatsfrist wirksam zuzustellen. Auch eine Berufung auf eine amtswegige Zustellung des Urteils war nicht möglich, da das Landgericht Berlin sein Urteil samt Begründung erst etwa sechs Wochen nach der mündlichen Verhandlung den Parteien zustellte.

Die Geschäftsstelle der 27. Zivilkammer forderte den Vertreter des Antragstellers, Rechtsanwalt E., zusammen mit der Zustellung der Urteilsbegründung auf, den Nachweis der Vollziehung der Verfügung zu erbringen. Rechtsanwalt E. erklärte, dass die Verfügung nicht erneut vollzogen worden sei, da er die vorgenommenen Änderungen für unwesentlich hielt. Diese Einschätzung erscheint jedoch riskant, denn dadurch erhöht sich das Verfahrens- und Kostenrisiko für den Antragsteller erheblich.

Wird der Gegenstand einer Verfügung – im Sinne eines „aliud“ – vollständig ausgetauscht, wie es hier offensichtlich der Fall ist, so führt dies in der Rechtsmittelinstanz, insbesondere wenn die Berufung die fehlende Vollziehung zu Recht rügt, zur Zurückweisung des Antrags auf Erlass einer Einstweiligen Verfügung. In einem solchen Fall werden dem Antragsteller die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen auferlegt.

Das ist der rechtsstaatliche Lauf der Dinge.

Im 10. Zivilsenat des Kammergerichts Berlin, besetzt mit den Richtern Dr. Oliver Elzer, Katrin Schönberg, Manfred Schneider und Markus Frey, fanden diese Grundsätze in Ansehen der unliebsamen Partei keine Anwendung. Die begründete, erfolgreiche Berufung sollte gem. § 522 ZPO als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen werden:

“Wie Sie dem beigefügten Beschluss des Kammergerichts (KG) entnehmen können, beabsichtigt es, Ihre Berufung gegen das landgerichtliche Urteil einstimmig im Beschlusswege zurückzuweisen. Es vertritt darin im Wesentlichen überraschend in Widerspruch zum 9. Senat die Auffassung, eine erneute Vollziehung des im Vergleich zum Beschluss wesentlich veränderten Urteils sei nicht nötig gewesen, weil es sich dabei nur um eine Förmelei gehandelt hätte. Die Begründung überzeugt jedoch nicht, weil das KG offensichtlich auf einen unzutreffenden Gesichtspunkt abstellt.

Zweck der Vollziehung eines Urteils durch die (hier unterbliebene) Parteizustellung ist es nämlich, dem Schuldner den Vollziehungswillen des Gläubigers (hier also Herrn F.) zum Ausdruck zu bringen. Dazu bedarf es logischerweise einer Handlung des Gläubigers, nicht nur des Gerichts. Dies entspricht einhelliger Auffassung, auch in der Rechtsprechung. Selbst den vom KG zum Beleg seiner Ansicht zitierten Entscheidungen lässt sich nichts entnehmen, was die beabsichtigte Zurückweisung stützen würde.

Das KG argumentiert in dem beigefügten Beschluss vielmehr so als sei Ihnen innerhalb der Vollziehungsfrist lediglich eine falsche Fassung des landgerichtlichen Urteils (z.B. einfache Kopie statt beglaubigter Abschrift) zugestellt worden. Diese Frage behandelt beispielsweise das OLG Düsseldorf in der vom KG angeführten Entscheidung. Im vorliegenden Fall wurde ihnen innerhalb der Vollziehungsfrist jedoch überhaupt nichts zugestellt, insbesondere nichts vom Gläubiger (d.h. Herrn F.).“

Daraus folgte:

a) Ablehnungsgesuch gegen die Richter aus dem Hinweisbeschluss vom 23.09.2022 (Elzer/Schönberg/Schneider)
b) 17-seitige anwaltliche Stellungnahme

Die am 10. November 2022 bei der Kanzlei eingegangenen und in den Kenntnisbereich der Antragsgegnerin gelangten dienstlichen Äußerungen der abgelehnten Richter zeichneten sich durch eine beschämend dürftige Übereinstimmung aus, die Anlass zu einer weiteren anwaltlichen Stellungnahme bot, welche auch umgehend erfolgte:

“Der Hinweisbeschluss des Kammergerichts vom 23.09.2022 gibt in dieser Hinsicht Anlass zum Zweifel an der Unvoreingenommenheit der abgelehnten Richter. In materiell-rechtlicher Hinsicht wird er getragen von einer Voreingenommenheit gegenüber der Berufungsklägerin […]

Dieses, das Verhalten der Berufungsklägerin diskreditierende, Urteil kann schon deshalb keinen Bestand haben, weil es auf einer eklatant oberflächlichen und fehlerhaften Sachverhaltsfeststellung beruht. […] Der Berufungsklägerin wird durch diese Begründung der ‚Schwarze Peter‘ zugeschoben. Sie ist die Böse in diesem Streit.

Gleichzeitig wird das Verhalten des Berufungsbeklagten relativiert und der Verdacht der Parteilichkeit dadurch weiter genährt. Denn die abgelehnten Richter führen im Hinweisbeschluss aus, dass es sich bei dem Vorgang, gegen den sich die Berufungsklägerin in ihrem Schreiben wendet, „um eine Bagatelle“ handelt, obwohl es sich bei dem Verhalten des Berufungsbeklagten um einen Hausfriedensbruch und damit um eine Straftat nach § 123 Abs. 1 StGB gehandelt hat. Diese Straftat wird von den abgelehnten Richtern weitergehend dadurch verniedlicht, dass sie im Hinweisbeschluss als „vermeintlicher“ Hausfriedensbruch bezeichnet wird. Ähnlich verharmlosend ist die weitere Wendung im Hinweisbeschluss auf Seite 12, wo es heißt: „Wenn die Antragsgegnerin hierin eine Straftat sieht“. Hausfriedensbruch ist eine Straftat, nicht nur nach der persönlichen Auffassung der Berufungsklägerin. Für die Berufungsklägerin geht aus den Ausführungen im Hinweisbeschluss hervor, dass ihr vom Kammergericht eine perfide Strategie unterstellt wird, während das Eindringen des Berufungsbeklagten in ihre Wohnung verharmlost wird. Die abgelehnten Richter wollen in ihrem Wertungssystem offensichtlich nicht, dass die Berufungsklägerin mit ihrer Berufung Erfolg hat.

Der Berufungsklägerin muss sich in dieser Konstellation von Gut und Böse objektiv der Eindruck aufdrängen, dass die abgelehnten Richter eines der Hauptargumente der Berufung, nämlich die fehlende Zustellung der einstweiligen Verfügung des Landgerichts Berlin, mit rechtlich unhaltbaren Argumenten aus dem Weg räumen wollen, um dem Berufungsbeklagten zur Seite zu springen.

Dafür spricht schon, dass sie ignorieren, dass das Urteil des Landgerichts Berlin vom 25.03.2021 nicht binnen der Monatsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO zugestellt wurde, sondern erst am 10.05.2021, über 6 Wochen nach der Urteilsverkündung. Diese Diskrepanz muss den abgelehnten Richtern aufgefallen sein, zumal sie das Urteil auf Seite 5 des Hinweisbeschlusses sogar auf den 25.02.2021 datiert haben und zwischen diesem Datum und der Zustellung durch das Gericht über 10 Wochen vergangen waren, während die Vollziehungsfrist bekanntlich einen Monat beträgt, wie dem mit einstweiligen Verfügungsverfahren vertrauten Senat natürlich bestens bekannt ist.”

Um die fehlende Zustellung ignorieren zu können, bezogen sich die abgelehnten Richter im Hinweisbeschluss auf eine Entscheidung des OLG Düsseldorf. Zwar wurde aus dieser Entscheidung umfangreich zitiert, jedoch wurde mit keinem Wort erwähnt, dass sich der Sachverhalt, der dieser Entscheidung zugrunde lag, wesentlich von der Zustellungsproblematik unterschied, wie sie im vorliegenden Rechtsstreit bestand. Im Düsseldorfer Verfahren ging es lediglich darum, dass der dortigen Antragsgegnerin von der Antragstellerin fehlerhaft nur eine einfache Abschrift einer einstweiligen Verfügung zugestellt wurde, während die Antragsgegnerin jedoch innerhalb der Vollziehungsfrist vom Gericht eine beglaubigte Abschrift erhalten hatte. In diesem Fall konnte die Berufung der dortigen Antragsgegnerin auf die fehlende Zustellung einer beglaubigten Abschrift im Parteibetrieb als reine Förmelei gewertet werden.

Der grundlegende Unterschied im vorliegenden Verfahren bestand jedoch darin, dass der Berufungsbeklagte das Urteil des LG Berlin vom 25.03.2021 überhaupt nicht zugestellt hatte und die Zustellung der einstweiligen Verfügung durch das LG Berlin erst weit nach Ablauf der Vollziehungsfrist erfolgte. Auf diesen entscheidenden Unterschied ging der Hinweisbeschluss nicht ein, offensichtlich deshalb, weil er dem gewünschten Ergebnis der Zurückweisung der Berufung im Wege stand.

“Die eklatant fehlerhafte Sachverhaltserfassung führt im Ergebnis dazu, dass auf Seiten der Berufungsklägerin objektiv der Eindruck entstehen muss, dass die abgelehnten Richter die Berufungsklägerin, der sie zu Unrecht eine perfide Strategie unterstellen, nicht mit dem ‚billigen‘ Argument der objektiv fehlenden Vollziehung des Urteils des LG Berlin davonkommen lassen wollen.“

Danach sah sich der mit Dr. Elzer an der Spitze besetzte Senat zunächst veranlasst, das Ablehnungsgesuch zurückzuweisen. In der Begründung dieser Zurückweisung wurde auch auf die fehlende Vollziehung der einstweiligen Verfügung Bezug genommen. Dr. Elzer, der als Vorsitzender in Erscheinung trat und den Kurs des Senats zu verantworten hatte, unternahm zusammen mit den Richterinnen Katrin Schönberg und Aaltje Monjé zwei neue Versuche, die erforderliche, aber offensichtlich fehlende Vollziehung zu rechtfertigen. Das absurde Schauspiel begann damit, dass behauptet wurde, der Kläger habe die modifizierte einstweilige Verfügung nicht erneut vollziehen müssen.

“Denn der Verfügungskläger musste, wie von den abgelehnten Richtern der Sache und dem Ergebnis nach unter II. 1. b) auch vertreten, die Beschlussverfügung nach ihrer Bestätigung durch die Urteilsverfügung vom 25. März 2021 nicht nochmals nach §§ 936, 929 Absatz 2 ZPO vollziehen. Bestätigt das Gericht, wie im Fall, nach einem Widerspruch eine Beschlussverfügung, und schränkt es das Verhalten, das es zu unterlassen gilt, in Bezug auf die konkrete Verletzungsform nur ein, muss der Gläubiger nach allgemeiner Ansicht die Anordnung nicht erneut vollziehen.”

Hieran sind gleich zwei Dinge falsch, was den Richtern selbstverständlich bekannt ist:

  1. Das Landgericht hat im Widerspruchsverfahren die Verfügung nicht in ihrer ursprünglichen Form bestätigt und auch nicht lediglich eingeschränkt.
  2. Das Landgericht stellte auf einen völlig neuen Lebenssachverhalt ab und begründete dies unter anderem mit einer angeblich deutlich intensiveren Eingriffsqualität. Dieser neu ins Feld geführte Lebenssachverhalt war logischerweise vom ursprünglichen Tenor nicht umfasst. Das Gericht verschwieg jedoch, dass die Frage nach der Eingriffsintensität in Wirklichkeit irrelevant war. Denn warum eine Handvoll Briefe, die die inkriminierte Äußerung enthielten, eingriffsintensiver sein sollte als eine für jedermann zugängliche Veröffentlichung im Internet, einem Massenmedium, erschließt sich nicht.

Das Landgericht versuchte damit, seinen eigenen Fehler zu kaschieren. Die ursprünglich untersagte Internetveröffentlichung enthielt die inkriminierte Äußerung nämlich gar nicht, was sowohl der Antragsteller als auch das Landgericht übersehen hatten. Der Tenor der anfänglichen Verfügung war somit von der in Bezug genommenen Verletzungsform (Internetveröffentlichung) nicht gedeckt, da sich aus ihr keine Verletzung ergeben konnte. Es brauchte aus der Sicht des Landgerichts also ein neues, anderes Medium, das die untersagte Verletzung beinhaltete und auf das das Gericht mit seinem bestätigenden Urteil abstellen konnte – denn seine Verfügung wollte es verteidigen und retten.

In einer weiteren Beschlussstellungnahme der abgelehnten Richter wurde es noch absurder:

“Der Verfügungskläger hatte außerdem durch seinen Prozessbevollmächtigten den damaligen Prozessbevollmächtigten der Verfügungsbeklagten innerhalb der Monatsfrist, nämlich am 14. April 2021, angeschrieben und aufgefordert, eine Abschlusserklärung abzugeben (Anlage AST 12, Blatt 37 ff. Band II der Akte). Damit aber hatte er die Urteilsverfügung im Sinne von § 929 Absatz 2 ZPO ausreichend vollzogen.“

Plötzlich vertraten die Richter die Ansicht, dass a) doch eine erneute Vollziehung der Verfügung erforderlich sei und b) diese angeblich durch eine Aufforderung zur Abgabe einer Abschlusserklärung gemäß § 929 Abs. 2 ZPO erfolgt sei. Diese Ausführung ist in zweifacher Hinsicht bemerkenswert, denn kurz zuvor hatten die Richter noch die Auffassung vertreten, dass die Verfügung nicht erneut vollzogen werden müsse – und nun plötzlich doch. Ihren Sinneswandel begründeten sie mit der Aufforderung des Verfügungsklägers an die Beklagte, eine Abschlusserklärung abzugeben. Allein dadurch, so die Richter, sei die Einstweilige Verfügung im rechtlichen Sinne vollzogen worden. Mit Verlaub, der Rechtsanwalt, der diese "richterliche Begründung" empfing, fand für diese unverschämte und willkürlich hergeleitete Argumentation deutliche Worte.

“Die Urteilsverfügung des Landgerichts wurde durch die Aufforderung des Verfügungsklägers an die Verfügungsbeklagte zur Abgabe einer Abschlusserklärung nicht vollzogen. Trotz umfangreicher Hinweise auf die Rechtsprechung verschiedener Gerichte, wie sie sich im Beschluss des Kammergerichts über das Ablehnungsgesuch zu anderen Rechtsfragen finden, vermag das Kammergericht keine Gerichtsentscheidung, nicht einmal eine Literaturstelle anzugeben, aus der sich ergeben könnte, dass die Aufforderung zur Abgabe einer Abschlusserklärung eine Vollziehung einer einstweiligen Verfügung nach § 929 (2) ZPO sein könnte. Tatsächlich konnte auch der Unterzeichner nach umfangreichen Recherchen nirgendwo eine Fundstelle ausmachen, aus der sich eine solche Auffassung ableiten ließe.”

Die Vollziehung einer einstweiligen Verfügung gemäß § 929 Abs. 2 ZPO und ein Abschlussschreiben dienen unterschiedlichen Zwecken. Durch die Vollziehung nach § 929 Abs. 2 ZPO manifestiert der Gläubiger seinen Willen zur Vollziehung und schafft eine Wirksamkeitsvoraussetzung (BGH GRUR 1993, 415; OLG Nürnberg NJW-RR 2022, 500; BeckOK ZPO/Mayer § 936 Rn. 18).

Das Abschlussschreiben hingegen hat einen doppelten Zweck: Zum einen ist es regelmäßig erforderlich, wenn der Gläubiger im Hauptsacheprozess kein sofortiges Anerkenntnis des Schuldners riskieren will. Zum anderen entspricht es auch dem mutmaßlichen Willen des Schuldners, da es ihm die Möglichkeit bietet, den Rechtsstreit kostengünstiger durch die Abgabe einer Abschlusserklärung statt durch ein möglicherweise langwieriges und kostspieliges Hauptsacheverfahren zu beenden (OLG München GRUR-RR 2021, 512; OLG Hamburg GRUR-RR 2014, 229).

Beim Abschlussschreiben geht es somit darum, ein Hauptsacheverfahren über denselben Streitgegenstand zu vermeiden. Die Vollziehung nach § 929 Abs. 2 ZPO hingegen dient dazu, dem Schuldner gegenüber klarzustellen, dass der Gläubiger auf die Beachtung der einstweiligen Verfügung Wert legt. Obwohl es seit Jahrzehnten üblich ist, dass der Gläubiger den Schuldner nach Erlass einer einstweiligen Verfügung auffordert, diese als abschließende Regelung anzuerkennen, wurde noch nie angenommen, dass diese Aufforderung zur Abgabe einer Abschlusserklärung eine Vollziehung der einstweiligen Verfügung darstellt. Dazu heißt es vom OLG Karlsruhe NJW-RR 2016, 821:

„Wegen dieser Besonderheiten ist eine Ungewissheit oder Unklarheit darüber, ob eine (fristgerechte) Vollziehung stattgefunden hat, tunlich zu vermeiden. Es geht nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht an, die Beantwortung dieser Frage von den Umständen des Einzelfalls, einer Interessenabwägung oder einer Ermessensentscheidung abhängig zu machen. Ebenso wenig darf die Auslegung einer Willenserklärung den Ausschlag geben. Wenn die Vollziehung einer einstweiligen Verfügung/Anordnung auch auf anderer Weise als durch Zustellung im Parteibetrieb denkbar ist, muss es sich also immer um ähnlich formalisierte und urkundlich belegte, jedenfalls leicht feststellbare Maßnahmen handeln.“

Eine solche leicht feststellbare Maßnahme liegt nach herrschender Rechtsprechung beispielsweise darin, dass der Gläubiger binnen der Vollziehungsfrist einen Ordnungsmittelantrag stellt. Demgegenüber wurde es für nicht ausreichend erachtet, dass der Gläubiger dem Schuldner eine Urteilsverfügung lediglich als Anlage zu einem privatschriftlichen Schreiben übermittelt (KG WRP 1995, 325; siehe auch KG GRUR-RR 2015, 181, 182). Noch weniger ausreichend kann dann ein Schreiben sein, das lediglich auf eine einstweilige Verfügung Bezug nimmt, die dem Schreiben nicht einmal beigefügt ist.

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass es entgegen der vorstehend zitierten Rechtsprechung auch nicht leicht feststellbar ist, ob dem Schuldner ein Abschlussschreiben tatsächlich zugegangen ist. Dies hängt vielmehr von den Umständen des Einzelfalls ab und kann nicht pauschal als Nachweis für eine erfolgte Vollziehung gewertet werden.

“Zusammenfassend wirkt die Begründung des Senats im fälschlicherweise auf den 10.01.2023 datierten Beschluss wie der verzweifelte Versuch, die fehlerhaften Hinweise im Beschluss des Senats vom 23.09.2022 irgendwie zu retten. Das wiederum bestätigt leider doch den Verdacht, dass der Senat nicht nach der Sache, sondern nach der Person entscheidet, weil sie den Gerichten unbequem ist. Wir appellieren daher an den Senat, einen Reset auf Null vorzunehmen und mit Justitias Augenbinde zur unvoreingenommenen Subsumption unter die gesetzlichen Regeln, wünschenswerterweise in der Auslegung der seit Jahren und Jahrzehnten herrschenden Rechtsprechung zurückzukehren. Sollte der Senat juristisches Neuland betreten wollen, müsste seine Entscheidung durch öffentliches Urteil natürlich - schon wegen der Originalität - der Veröffentlichung in Fachmedien zugeführt werden.”

Der Senat rang sich daraufhin dazu durch, sich an Recht und Gesetz zu halten. Die mündliche Verhandlung wurde terminiert. Im Termin nahm der Verfügungskläger auf Empfehlung des Senats seinen Antrag auf Erlass zurück. Unter der Regie von "Weihnachtsmann" Elzer senkte der Senat den Streitwert um die Hälfte, um dem Kunden weniger monetären Schaden zuzufügen.

Entscheidung vom 13. April 2023
Der Bericht ist hier hinterlegt


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